Früher war alles besser

Ich habe mir soeben die Special Edition eines der letzten Exklusivtitels der PlayStation 3, nämlich Beyond: Two Souls vorbestellt. Das mag für den geneigten Leser keine Besonderheit darstellen. Bei diesem Spiel handelt es sich aber tatsächlich um den ersten, und das sei an dieser Stelle nochmals besonders betont, den allerersten Vollpreistitel, den ich mir käuflich erwerbe. Doch warum ist dies für mich just in diesem Moment so etwas besonderes? Bin ich nicht lediglich auf die Marketingstrategien von Sony und Quantic Dream angesprungen, um somit mehr Geld in das System zu pumpen? Das bringt mich zum Grübeln. Und wie ich so am Grübeln bin, gleiten meine Gedanken ab in vergangene Zeiten.

Ich erinnere mich plötzlich daran, wie ich damals mit meiner Mutter aus einem Elektrofachhandel herausgetollt bin. Also getollt bin ich, meine Mutter war doch eher das seriöse Element der Szenerie. In meinen Händen hielt ich das Objekt meiner Begierde: Die silberne Pokemon-Edition. Ein Blick auf die Wikipedia verrät mir, dass dies kurz nach der Jahrtausendwende der Fall gewesen sein muss. Ich dürfte zu diesem Zeitpunkt so in etwa neun Jahre an Lebenserfahrung gesammelt haben. Mit diesem reichen Repertoire gab es in diesem Moment nichts, was mich mehr faszinierte, als diese silbrig glänzende viereckige Verpackung , welche sich im Zentrum meines Blickes befand.
Endlich zuhause angekommen legte ich diesen heiligen Gral auf meinen Zimmertisch, rannte in das Badezimmer und kam mit einer Dose Melkfett wieder zurück zum Ort des Geschehens. Mein neunjähriges Ich wollte das Spiel und die Verpackung pflegen, auf dass sie noch lange ihren Glanz und ihre Schönheit erhielt. Und was für die Haut gut ist, konnte ja so einem Spiel nicht schaden. Ich schmierte also die ganze Verpackung mit dieser fettigen Creme ein. Sie klebt heute immer noch ein wenig.

Meine Eltern waren damals recht streng, was den Umgang mit Spielekonsolen anging. Ich hatte einen GameBoy, den meine Mutter unter Verschluss hielt und eine PlayStation, welche bei meinem Vater stand, den ich immer am Wochenende besuchte. Somit hatte ich unter der Woche auch auf diese keinen Zugriff.
Nun war es so, dass meine beiden Elternteile begeisterte Läufer waren. Zu dieser Zeit waren wir nahezu jedes Wochenende in einem anderen Dorf der Umgebung bei diversen Volksläufen. Auch ich freute mich immer wie toll auf dieses Event. Da sowohl meine Mutter als auch mein Vater damit beschäftigt waren, mit Freunden zu plaudern und eben ihre fünf bis zehn Kilometer zu joggen, brauchte ich für die Zwischenzeit etwas, das mich beschäftigte. In diesem Zeitraum durfte ich nun also ungehemmt, mit Batterien im Anschlag, meinem Spieletrieb nachgehen. Diese Volksläufe waren für meine Eltern immer ein Event, ebenso, wie es für mich jede Woche ein Event war, den GameBoy von meiner Mutter überreicht zu bekommen um diesen den ganzen Samstag respektive Sonntag in Anspruch nehmen zu dürfen und alle Spiele, die sich so im Laufe der Zeit angesammelt hatten, spielen zu können. Ich könnte noch an unglaublich viele andere Situationen denken, die sich ähnlich verhielten, aber ich will jetzt langsam auch mal zum Punkt kommen. Und wenn ich alles richtig gemacht habe, dann denkst du, lieber Leser, auch gerade an deine damaligen Spieleerlebnisse, die Rituale und das damit einhergehende Event des Spielens zurück.
Eben dieser Eventcharakter, dieses ritualisierte Spielen machte mein damaliges Spieleerlebnis so besonders. Rückblickend liegt ein gewisser Zauber auf der damaligen Zeit.

Springen wir wieder in die heutige Zeit. Physische Spiele gehören längst zur Seltenheit, seitdem Steam so einen Erfolg hat und auch Xbox-Live und PSN immer mehr günstige Downloadtitel anbieten. Alle zwei Wochen bediene ich mich am Humble-Bundle und stocke meine Steam-Bibliothek für immens wenig Geld um ein weiteres Paket Spiele auf. Das sind natürlich alles Entwicklungen, die mich auch freuen. Nie zuvor war es möglich so viele Spiele für verhältnismäßig wenig Geld zu bekommen. Und gerade durch den Indiemarkt, dem die Downloadpolitik zu Gute kommt, gibt es heute ein viel reichhaltigeres und vielfältigeres Angebot an Spielen, als es noch vor einigen Jahren der Fall war.
Doch weil man eben so viele Spiele zu spielen hat und sich immer weitere hinzugesellen, verliert das einzelne Spiel an Bedeutung. Hat man das eine Spiel durchgespielt, wartet schon das nächste Spiel auf einen, um ebenfalls durchgespielt zu werden. Vor Spielen mit größerem Spieleumfang schrecke ich inzwischen schon instinktiv zurück, weil ich mir vorstelle, wie viele andere Spiele ich in diesem Zeitraum spielen könnte. Daran, dass ich damals die Final Fantasy-Titel für die PlayStation jeweils mit nahezu dreistelliger Stundenzahl erforschte, lässt sich heute bei Weitem nicht mehr denken.

Die Spiele, die boomen, sind die Zwischendurchspiele. Diese Spiele, die man auch auf seinem Smartphone oder Tablett mal eben schnell an der Haltestelle spielen kann, während man auf den Bus wartet. Ebenso verhält es sich mit Spielen, die ich aktuell intensiv am PC spiele. Bei The Binding of Isaac komme ich deshalb auf 265 Spielstunden, weil sich dieses Spiel ideal dafür eignet, nebenher gespielt zu werden, während man sich Videos auf YouTube anschaut, man einen Podcast oder ein Hörspiel hört oder man per Skype mit Freunden redet. Nach knapp 90 Minuten hat man einen Run beendet und kann ohne schlechtes Gewissen das Spiel wieder schließen.
Bei anderen Spielen habe ich das Gefühl, dass ich diesem nicht gerecht werde, sollte ich es nur für 90 Minuten spielen. Allerdings werde ich von allen Seiten mit neuen Reizen so überfordert, dass ich Probleme habe, mehr als eine solche Zeitspanne an einem Spiel zu sitzen. Spätestens nach besagten 90 Minuten fange ich an zu überlegen, ob ich nicht doch lieber jenes oder solches Spiel spielen sollte, schließlich müsse ich dies auch noch fertig spielen. Dieses Spiel nun also gestartet, angefangen zu spielen und auch hier nach etwas mehr als einer Stunde das gleiche Phänomen.
Es entsteht so etwas wie ein Fließbandspielen. Ein Spiel wird nach dem anderen abgefertigt und gespielt. Und wenn doch nicht ein Spiel nach dem anderen abgefertigt wird, so ist es doch so, dass ein spezielles Spiel gespielt wird um die Achievements, welches es enthält, abzuarbeiten (weiter möchte ich an dieser Stelle auch gar nicht auf Achievements eingehen, die werden an anderen Stellen nun wirklich zur Genüge diskutiert).

Man muss heutzutage ja nicht einmal mehr ein Spiel selber spielen. Auf YouTube findet man ausreichend Material zu allen erdenklichen Spielen. Und weil es langweilig wäre, nur ein Spiel anzuschauen, moderiert auch noch jemand hektisch über dieses Spiel drüber. Wozu sollte ich also mein Geld ausgeben und mir die Mühe machen, etwas in die Spielekonsole respektive den Computer einzulesen, wenn ich mir das Spiel doch auch on demand in leicht verdaulichen 20-Minuten-Päckchen anschauen kann?

Wer räumt denn heute noch sein Zimmer auf, bevor er ein Spiel sorgsam zum ersten Mal aus der Spieleverpackung heraustrennt und es in seine Konsole einlegt?

Dieses Phänomen ist beileibe nicht ausgestorben. Natürlich ist es immer noch so, dass Spiele zelebriert werden. An dieser Stelle wird unabstreitbar auch viel von der wirtschaftlichen Seite generiert und gepusht. Ist das aber so schlimm?

Ich hatte mein Schlüsselerlebnis vor einiger Zeit, als ich zum ersten Mal Heavy Rain spielte. Bis dato schaffte ich es einfach nicht, einen ausdauernden Zugang zu Videospielen in meinem Alltag zu finden. An besagtem Tag saß ich nun also auf der Couch im Wohnzimmer, hatte es mir in gemütlichen Klamotten unter einer Decke bequem gemacht und den gesamten Tag frei. Das Tutorial hatte ich bereits zwei Tage vorher durchlaufen und konnte somit gleich in die Story starten.
Acht Stunden später stand ich wieder von der Couch auf. Hinter mir lag das intensivste Spieleerlebnis, was ich seit meiner Kindheit bis zu diesem Zeitpunkt je erlebt hatte. Das Spiel hatte mich dermaßen in flow (wie der kluge Spieledesigner sagt) gehalten, dass ich die Zeit, die an mir vorbeiflog, gar nicht bemerkte und die präsentierte Geschichte nur so in mich aufsog. Keine Spur von kurzer Aufmerksamkeitsspanne und Gedanken an andere Spiele.
Zugegeben, mit knapp 9 Stunden reicht die investierte Zeit noch nicht an andere Spiele, beispielsweise aus dem Hause Rockstar heran, aber als ich an diesem Abend im Bett lag, hatte ich das Gefühl, etwas lang verlorenes wiedergefunden zu haben. Ich hatte das Spiel selber gespielt und nicht die Nummer 23 in meiner Spielebibliothek über die ich dann nachher mit Freunden sprechen konnte und auch nicht 60 Prozent der Achievements abgearbeitet. Ich war zum ersten Mal seit Jahren wieder tiefer in ein Spiel eingetaucht. Das besondere in diesem Fall war, dass es spontan und nicht geplant war.

Seitdem versuche ich immer wieder Spiele zu einem Event zu machen. Nachmittags um drei gehören die Rolläden heruntergelassen, die Mitbewohner um Ruhe gebeten und die Kopfhörer aufgesetzt, um zünftig Limbo zu spielen. Man kann kein Demon’s Souls anfangen, wenn man in zwei Stunden schon wieder wo anders auf der Matte stehen muss. Ein gutes Spieleerlebnis braucht Zeit und ein Open End. Während um mich herum nun alle immer mehr Spiele spielen sitze ich immer noch an dem gleichen Titel und erlebe.

Und nun habe ich also meinen ersten Vollpreistitel vorbestellt. Damit bin ich genau auf die Marketingstrategien angesprungen und werde viel mehr Geld los, als es eigentlich notwendig wäre, wenn ich noch ein, zwei Jahre warten könnte. Aber wen kümmert’s? Zu einem speziellen Spieleerlebnis gehört das Besondere dazu. Und wenn dies nun einmal nicht mehr so einfach wie noch zu Kindheitstagen zu erlangen ist, dann bestelle ich mir auch mal Beyond: Two Souls vor und freue mich jetzt zwei Wochen lang auf das Erscheinen. Ich werde alles stehen und liegen lassen, die Spieleverpackung öffnen und die Disc in das Laufwerk legen. Auf der Jagd nach dem Zauber der Kindheit.

2 Gedanken zu “Früher war alles besser

  1. Der Zauber der Kindheit ist auch an deinem Vater nicht vorübergegangen. Da denke ich an die Weihnachtszeit vor gefühlten 15 Jahren und an Spyro, den lustigen Drachen. Ja, ja Zeiten ändern sich und alles entwickelt sich weiter, aber der Zauber der Kindheit bleibt für immer und ewig im Gedächnis und das ist schön so!
    R.

  2. Ach ja, ich weiß noch damals, als ich meinen ersten Gameboy geschenkt bekommen habe.
    Ich durfte immer nur 30 Minuten am Tag spielen, deswegen stand auch immer extra eine Eieruhr neben mir. Doch wenn man ordentlich seine Pokemon leveln will, sind 30 Minuten eindeutig zu wenig, deswegen habe ich als cleveres Mädchen immer die Eieruhr zurück gestellt….leider haben meine Eltern schnell diesen Trick durchschaut ;-).
    Das Spielen war schon etwas Besonderes, ja schon Kostbares, worauf man sich immer tierisch gefreut hat. Heutzutage mit der Fülle an Spielen, wo nur noch Wenige etwas Einzigartiges besitzen und einen regelrecht mitreißen, ist es teilweise schon fast zum Alltag geworden.
    „Ja, ich zocke heute Abend mal ein bisschen.“ Nicht das das schlecht wäre, aber es ist nun mal eine Veränderung. Teilweise ist es schon schade, aber zum Glück gibt es für mich immer noch Spiele, auf die ich mich wirklich freuen kann und es nicht nur als bloßen Zeitvertreib oder als kleine Unterhaltung für zwischendurch gilt. Da kommt manchmal das Kind in einem wieder durch ^^.

Hinterlasse eine Antwort zu Rainer Ziehmer Antwort abbrechen