Bad boys, bad boys, watcha gonna do if Adorno comes for you?

Subversion am Videospielmarkt – Chimäre oder reale Perspektive innerhalb der Kulturindustrie?

2013-05-10_00002

I watched Spec Ops: The Line crawl on the edge of the industry… . That’s my dream. That’s my nightmare. Crawling, slithering… and surviving.

So in etwa hat das damals Colonel Kurtz in Coppolas Meisterwerk Apocalypse Now gesagt. Nur ging es dabei wohl irgendwie mehr um Schnecken. Die minimale Zweckentfremdung jenes Zitats ist jedoch angesichts des weiteren Inhalts dieses Textes gar nicht mal so abwegig, zog der hier eingeschleuste Videospieltitel doch jede Menge Inspiration aus genanntem Filmmaterial inklusive Buchvorlage Heart of Darkness.

Der besonders aufmerksame Spieler wird eventuell schon an der Überschrift erkannt haben, dass hier auf den mit populärer Musik versetzen Shooter aus dem deutschen Entwicklerhause Yager angespielt wird, es soll im weiteren Verlauf allerdings nicht ausschließlich um Spec Ops: The Line gehen, vielmehr wird das Spiel als exemplarischer Ausgangspunkt einer größeren Fragestellung dienen, einer Fragestellung, die mindestens so alt ist, wie Adorno und Horkheimer selbst, aber noch lange nicht so tot. Die berühmt-berüchtigte Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Kommerz. Das Wechselspiel von Kapitalismus und Kulturindustrie. Während die von den beiden erwähnten Denkern geschaffene Kritische Theorie der Frankfurter Schule zwar ebendiese Themen verhandelt und auch in der gängigen Medientheorie bereits als Analyseschlüssel genutzt wird, so lassen sich im Bezug auf Videospiele leider noch wenige spezifische Verknüpfungen zu jenen Denkmustern finden. Obwohl es sich in vorliegenden Schriften zeitgemäß natürlich primär um Themen wie Film und Rundfunk drehte, so lassen sich viele Punkte ausgezeichnet auf das audiovisuelle Medium Spiel übertragen. Betrachten wir hierzu beispielsweise Auszüge aus dem wohl bekanntesten Werk der Kritischen Theorie,  Dialektik der Aufklärung:

Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch, und ihr Skelett, das von jenem fabrizierte begriffliche Gerippe, beginnt sich abzuzeichnen. An seiner Verdeckung sind die Lenker gar nicht mehr so sehr interessiert, seine Gewalt verstärkt sich, je brutaler sie sich einbekennt. Lichtspiele und Rundfunk brauchen sich nicht mehr als Kunst auszugeben. Die Wahrheit, daß sie nichts sind, als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen.

   (Adorno/Horkheimer. Dialektik der Aufklärung. S.128f.)

An der Plausibilität des hier unterstellten Warencharakters ehemaliger Kunstobjekte hat sich in unserer heutigen Zeit sicherlich kaum etwas geändert. Im Gegenteil; Hollywood-Blockbuster scheinen umso weniger einen Hehl daraus zu machen, dass es ihnen primär um das Big Business geht. Es ist ein allgemein akzeptierter Fakt, dass ambitionierte Produktionen den größtmöglichsten Profit erzielen müssen, denn ihre Herstellung kostet ja auch eine Menge. Das Diktat des Kapitalismus habe laut Kritischer Theorie zwei schwerwiegende Folgen, die an der Glaubwürdigkeit von Kunst-Zuschreibungen kratzen: einerseits erfolge eine gewisse Homogenisierung und Universalisierung aller kulturellen Güter nach Markt-Standards und die Tatsache, dass diese nunmehr nichts anderes als Güter sind, degradiere Kunst entgültig zur bloßen Ware, deren Ziel nicht länger Einzigartigkeit oder artistischer Ausdruck sei, sondern lediglich so viele Konsumenten wie möglich erreichen wolle. Darüber hinaus seien genannte Güter von der Qualität her auf bloßes „amusement“ angelegt, haben also nicht das primäre Ziel zum denken anzuregen: im Gegenteil. Sie seien meist so designed, dass die Aufmerksamkeit des Konsumenten stets in Anspruch genommen werde, (selbst-)kritische Tendenzen des Werkes werden dabei vermieden:

Die Verkümmerung der Vorstellungskraft und Spontanität des Kulturkonsumenten heute braucht nicht auf psychologische Mechanismen erst reduziert zu werden. Die Produkte selber, […], lähmen ihrer objektiven Beschaffenheit nach jene Fähigkeiten. Sie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, daß sie aber die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will.

           (Ebd. S.134f.)

Wenden wir diese Betrachtungen nun auf Videospiele an, so zeigt sich, dass diese rein wirtschaftlich betrachtet kaum anders funktionieren dürften als Filmproduktionen. Der monetäre Aspekt bleibt bestehen, Kreation und Sicherstellung neuer Titel funktionieren nur über die Einnahme von Geld und die Erschließung von Absatzmärkten. Und wie gelingt letzteres besser als mit Amüsement? Ist Spaß nicht ohnehin der Faktor, der Menschen zu Spielen greifen lässt? Genormter Fun scheint also auch hier klare Devise zu sein, Kritik am eigenen System würde die gut geölte Maschine lediglich blockieren. Untersuchen wir beispielsweise das Shooter-Genre, so ist es unbestreitbar, dass sich über die Jahre hinweg bestimmte tradierte Konventionen, die das Genre bestimmen, etabliert haben. Die eigentliche Frage im Bezug auf den unterstellen Homogenitäts-Charaker ist nun aber, wie viel Raum für Vielfalt und Originalität diese Standards zulassen. Spiele wie Doom, Half- Life, S.T.A.L.K.E.R. und Unreal Tournament operieren zwar allesamt mit den mehr oder weniger gleichen Gameplay-Mechaniken des Ego-Shooters, fühlen sich im Grunde jedoch wie grundverschiedene Spiele mit individuellen Ansprüchen an, so dass das Argument der „Gleichschaltung“ zunächst fragwürdig erscheint. Doch gerade momentane Entwicklungen an der Spitze des Mainstreammarktes zeigen auch: das Publikum wird der immergleichen action-geladenen Call of Duty-Prämisse nicht überdrüßig. Solange es genug schnelllebiges und spaßverheißendes Gameplay gibt, scheint es egal, der wievielte Teil der konstant gebliebenen Serie im Einkaufswagen landet. Die Vertrautheit mit dem Produkt, seinen Abläufen und Funktionsweisen scheint hierbei sogar eher ein weiterer Bonus zu sein. Dies ist nun nicht nur bezeichnend für die spezifische Beliebtheit von Call of Duty, sondern lässt sich auf andere Spiele übertragen. Was die eine Serie zu Ruhm geführt hat, kann anderen Titeln logischerweise auch nicht schaden, und so bilden sich Trends heraus, die kurzerhand eine dominierende Stellung auf dem Markt einnehmen können. Die Realität dieser Tendenz will ich im Folgenden an zwei Beispielen der „Gears of War-ification“ aufzeigen:

Blick auf die Mass Effect-Serie: von einem taktischen Cover-Shooter mit Rollenspielelementen in Teil 1 hin zu einem actionreichen Gameplay mit Gegnerwellen in Teil 3, das stark an den beliebten Genre-Kollegen Gears of War erinnert.

ein Jahr später:

Blick auf die Bioshock-Serie: von einem entschleunigten und in vielen Arten einzigartigen Ego-Shooter in Teil 1 ebenfalls zu einem actionreichen Gameplay mit Gegnerwellen in Teil 3. Im direkten Vergleich mit dem spirituellen Vorgänger System Shock würde dieser Vergleich sogar noch merklicher ausfallen.

Gewisse Trends und Angleichungen scheinen also ganz klar nicht nur Film und Fernsehen, sondern auch die Realität der Spieleindustrie zu bestimmen. Die ursprünglichen künstlerischen Visionen und Konzepte werden oftmals schon im Vorhinein auf ihre Vermarktbarkeit geprüft und angepasst. Man ersetze im nächsten dezent polemischen Zitat den Term Filmleute schlicht durch Publisher und die diversen Formtypen durch Game-Genres:

Die Maschine rotiert auf der gleichen Stelle. Während sie schon den Konsum bestimmt, scheidet sie das Unerprobte als Risiko aus. Mißtrauisch blicken die Filmleute auf jedes Manuskript, dem nicht schon ein bestseller beruhigend zu Grunde liegt. […] Die gefrorenen Formtypen wie Sketch, Kurzgeschichte, Problemfilm, Schlager sind der normativ gewandte, drohend oktroyierte Durchschnitt des spätliberalen Geschmacks.

           (Ebd.S.142f.)

So blieb auch der 2012 erschienene Kritiker-Erfolg Spec Ops: The Line nicht von der Homogenisierung nach vorherrschenden Trends verschont. Developer Yager wurde von Publisher 2K nach einigen Testläufen explizit dazu aufgefordert, die Gameplay-Mechaniken noch mehr an die bereits erwähnte, populäre CoD-Formel anzupassen; das Bemerkenswerte ist jedoch nun, dass dies für Yager nicht die Kapitulation vor dem Mainstream darzustellen schien, ganz im Gegenteil. Es erlaubte Yager eine kritische Verhandlung des Military-Shooter-Genres auf der Handlungsebene des Spiels. Während man als Spieler zunächst von ludischen Klischees und Shooter-Konventionen begrüßt wird, beginnt die Narration die Selbstverständlichkeit, mit der man sich jenen Traditionen annimmt, zu zerschlagen und zwingt den Spieler über sein Verhalten zu reflektieren. Auch wenn auf narrativer Ebene mehrfach darauf verwiesen wird, dass man in Spec Ops: The Line Menschen, darunter auch unschuldige Zivilisten, tötet und dies innerhalb der Spielwelt mit ethischen Problemen behaftet ist, so bleibt das generische Gameplay eines regulären Cover-Shooters das gesamte Spiel hindurch vom Prinzip her unverändert, was auf eine kritische und komplexe Darstellung der eigenen Handlungen im Spiel abzielt. Spec Ops: The Line ist somit in vielerlei Hinsicht ein ausgesprochen selbstreflexives Spiel, das nicht nur die populären Trends hinterfragt, sondern auch warum wir als Konsumenten so unbedacht darauf eingehen und insbesondere oft genutzte Gewalt- und Kriegssymboliken in Spielen einem ungewohnten Blick unterzieht. Doch anscheinend bleibt dieses mutige und subversive Unterfangen eine Ausnahmeerscheinung. Mit neuesten Projekten, wie Dead Island 2 und Dreadnought scheint Yager wieder in die unbefangene Welt der reinen Bespaßung zurückkehren zu wollen und auch wenn es selbstverständlich äußerst problematisch ist, Spiele zu diskutierten, die noch nicht einmal erschienen sind, so sorgte ein kürzlich gefallenes Schlagwort seitens des Developers dennoch für kollektives Stirnrunzeln; Gamestar berichtete vom „Optimistische(n) Krieg“ auf einer Powerpoint-Folie Yagers während der Präsentation von Dreadnought.

Weiter heißt es im Spielemagazin:

»Wenn man abends noch mal ein Spiel in die Konsole schmeißt, hat man nicht immer Lust auf schwere Kost«, resümiert [Studiogründer] Timo Ullmann. »Man muss nun mal in der richtigen Stimmung sein für so einen Titel. Das schränkt das Potenzial automatisch ein.« Angesichts dieses Fazits ist es kein Wunder, dass sich Yager fürs Erste vom Tiefgründigen verabschiedet.

          (Aus: Gamestar Special: Keine Käufer für kluge Spiele. Keine Chance für Spec Ops: The Line 2)

Zu erwähnen wäre hierbei noch, dass Spec Ops: The Line zwar eine spezifische Fangemeinde ansprach, im Allgemeinen aber kein finanzieller Erfolg war und die Entscheidung Yagers für den Output leichterer Kost somit eventuell von manchen enttäuscht aufgenommen wurde, aber innerhalb der kapitalistischen Schaffensbedingungen rein Studio-politisch letztlich dennoch verständlich bleibt. Lediglich eine kleine Nische an Gamern zu bedienen ist schließlich nicht sonderlich geschäftsfördernd und sichert schlußendlich auch nicht das Überleben des Studios.

Doch bedeutet dies nun entgültig den traurigen Sieg der wirtschaftlichen Diktatur über die Kunst und war der vermeintliche revolutionäre Triumph von Spec Ops: The Line nur eine kurzweilige Illusion? Oder stellt das geschickte Verfahren der Unterwanderung und Nutzbarmachung von Klischees zu eigenen Zwecken dennoch eine reale Möglichkeit der Verhältnis-Kritik in kommenden Spielen anderer Entwickler auf dem Mainstreammarkt dar? Muss der Spec Ops: The Line-Fall eventuell auch paradoxerweise eine Besonderheit bleiben, um sein volles Wirkungspotential zu bewahren, da Subversion ja gerade eine omnipräsente Norm benötigt, die es zu unterwandern gilt? All dies sind sicherlich Fragen, die nicht so einfach beantwortet werden können. Und eventuell müssen sie das auch sein. Vielleicht reicht die bloße Beschäftigung mit ihnen und das Bewusstsein, dass die ökonomische Realität einen faktischen Einfluss auf die Entstehungsumstände von Kunst oder Nicht-Kunst hat, erst einmal aus. Zumindest wäre viel getan, wenn Themen wie diese auch im Bezug auf Videospiele in der öffentlichen Debatte einen größeren Rahmen einnehmen und somit Einfluss auf die Art, wie wir Spiele in einem künstlerischen Sinne diskutieren, ausüben würden. Spec Ops: The Line gelang in dieser Hinsicht zumindest eines: trotz oder gerade wegen der bestehenden Verhältnisse ist es gelungen, aus dem grauen Einheitsbrei der Steam-Achievement-generierenden-Shooter-Maschinen herauszuragen und vielleicht den ein oder anderen Gamer zum nachdenken über sein eigenes Spiel- oder Konsumverhalten und die Gegebenheiten der Industrie anzuregen.

Was also sowohl am Ende von Spec Ops: The Line und auch dieser Untersuchung bleibt, sind viele offene Fragen ohne vorgefertigte Antworten und das ist vielleicht auch ganz gut so. Das Leben hat schließlich auch keine Komplettlösung. Abschließend einfach mal selbst den Denkkasten bemühen, das hätte auch Adorno gefallen.

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